Logik und Grundlagenforschung
Musterbeispiel einer mathematischen Theorie ist noch heute die Geometrie in den Büchern des Euklid: Nach der Setzung von Axiomen, Postulaten und Definitionen werden die geometrischen Sätze systematisch und logisch bewiesen. Der Satz des Phythagoras ist im Euklidischen System wahr, unabhängig davon, ob der physikalische Raum das Parallelenaxiom erfüllt. Vielmehr gilt dieser Satz in allen Situationen, in denen die in seinen Beweis eingehenden Axiome erfüllt sind. Die axiomatische Methode des Euklid ist gekennzeichnet durch eine strenge, nahezu formale Sprache und die Verwendung einer kleinen Anzahl immer wiederkehrender Beweisprinzipien.
Die Mathematische Logik lehrt die formale, axiomatische Methode und untersucht ihre Möglichkeiten und Grenzen. Die Mathematik verfügt über eine prinzipiell vollkommen präzise Formelsprache, um Rechenterme und ihre Relationen sowie logische Abhängigkeiten zwischen Relationen auszudrücken. Intuitive Begriffe von Anzahl und Größe, räumlicher Lage, Diskretheit oder Kontinuierlichkeit, relationaler und funktionaler Abhängigkeit sind in die Formelsprache übertragen worden. Die Vorstellung eines ohne Abzusetzen zeichenbaren Funktionsgraphen wurde z.B. übersetzt in die bekannte und allgemein anerkannte ϵ-δ-Formel.
Im Prinzip reicht eine außerordentlich einfache Sprache für alle mathematischen Belange aus. Ihre atomaren Bestandteile sind Gleichheiten und relationale Aussagen zwischen Termen. Aus gegebenen Formeln A und B können weitere durch Boolesche Verknüpfungen gebildet werden:
A und B (abgekürzt A∧B), A oder B (A∨B), aus A folgt B (A→B), nicht A (¬A).
Außerdem kann über die freien Variablen von Formeln quantifiziert werden:
für alle x gilt A (abgekürzt ∀x A), es existiert ein x mit der Eigenschaft A (∃x A).
Mathematisches Schließen generiert korrekte Formeln aus Axiomen, die ebenfalls als Formeln gegeben sind. Die Analyse von Beweisen zeigt, dass die benutzten Beweisschritte oft von sehr einfacher Art sind, oder in einfache Schritte zerlegt werden können. Ein Beispiel einer immer wiederkehrenden Schlussweise ist der klassische Kettenschluss (modus ponens): Wenn A gilt und wenn B aus A folgt, so gilt B. Symbolisch:
A,A→B |
B |
Diese Schlussregel besitzt einen rein formalen, rechnerischen Charakter: aus zwei gegebenen Formeln lässt sich die Folgerung B durch Kürzen der Teilformel A bilden. Ein weiteres Beispiel einer Kürzungsregel ist die Fallunterscheidungsregel
A→B,¬A→B |
B |
Diese Regeln sind offenbar korrekt in dem Sinne, dass jede Struktur, die die Voraussetzungsformeln erfüllt, auch das Ergebnis der Regel erfüllt.
Durch Angabe einer kleinen Anzahl weiterer derartiger Schlussregeln
erhält man einen vollständigen Kalkül
Außer den expliziten Axiomen benutzen mathematische Theorien
allgemeine Eigenschaften von Zahlen, von endlichen und unendlichen
Mengen und von Funktionen und Relationen. Diese Hintergrundtheorie
lässt sich am einfachsten als Mengentheorie formalisieren
und axiomatisieren. Die Axiome der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre
werden allgemein als geeignete Grundlagentheorie angesehen und
benutzt. Die Frage Was ist Mathematik? kann so minimal, aber zugleich
umfassend beantwortet werden: die Gesamtheit aller Formeln, die sich
im Kalkül
Die Mathematische Logik gliedert sich in Teilbereiche: Die Beweistheorie untersucht formale Sprachen und Beweiskalküle. Die Mengenlehre studiert das Zermelo-Fraenkelsche Axiomensystem und seine Erweiterungen. Die Modelltheorie betrachtet allgemein Modelle gegebener Axiomensysteme. In der Rekursionstheorie wird die prinzipielle Berechenbarkeit von Funktionen untersucht.
Die Arbeitsgruppe Mathematische Logik an der Universität Bonn arbeitet vor allem im Bereich der Mengenlehre. Die Mengenlehre ist die mathematische Theorie des Unendlichen. Stärke und Universalität der Axiome erlauben die Formalisierung von formalen Sprachen und Beweisen innerhalb der Theorie; die so ermöglichte Nachbildung des Lügner-Paradoxons ( dieser Satz ist falsch) innerhalb der Mengenlehre ergibt aber einen in der Mengenlehre nicht entscheidbaren Satz (Gödelscher Unvollständigkeitssatz).
Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass auch einfache kombinatorische Eigenschaften unendlicher Mengen wie die Frage wieviele reelle Zahlen gibt es? von den Zermelo-Fraenkelschen Axiomen nicht entschieden werden. Ähnlich wie in der Geometrie wird die Unentscheidbarkeit einer Aussage A durch die Angabe verschiedener Modelle der Axiome gezeigt, in denen einmal A und einmal ¬A gilt. Derartige Modelle der Mengenlehre können ausgehend von einem gegebenen Modell durch Einschränkung oder Erweiterung definiert werden.
Die Untersuchungen der axiomatischen Mengenlehre führen zu einer Vielzahl möglicher mathematischer Welten, die sich in Bezug auf ihre unendliche Kombinatorik, ihre Mengen reeller Zahlen, und sogar in Bezug auf die in ihnen gültige Theorie der natürlichen Zahlen unterscheiden. Allerdings liegen diese Unentscheidbarkeiten überwiegend in Grenzbereichen, die das normale mathematische Arbeiten nicht beeinflussen.
Die Forschung in Bonn konzentriert sich auf die Untersuchung von Modellen der Mengenlehre, die durch Iterationen einfacher Operationen erzeugt werden können, und auf Modelle mit großen Kardinalzahlen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die deskriptive Mengenlehre, deren Untersuchungsgegenstand die Menge der reellen Zahlen ist. Zwischen diesen Bereichen gibt es enge Wechselwirkungen.
Durch die Untersuchung von Sprachen und Argumentationen besitzt die Mathematische Logik vielfältige Beziehungen zu Informatik, Philosophie und Linguistik. Programmiersprachen sind formale Sprachen mit einer besonderen, dem Rechenprozess in der Zeit entsprechenden Semantik. Datenbanken können als mathematische Strukturen aufgefasst werden, an die Anfragen in formalen Sprachen gestellt werden. Die Brücke zur Philosophie beruht auf der Analyse des korrekten Argumentierens sowie aus der Interpretation der schon angedeuteten prinzipiellen Grenzen im Bereich des formalen Schließens. In der theoretischen Linguistik werden Analogien zwischen natürlichen und formalen Sprachen bezüglich Syntax und Semantik studiert. Durch den breiten Einsatz formaler Systeme in allen Bereichen der Gesellschaft besteht zunehmender Bedarf an theoretisch und praktisch ausgebildeten Logikern.
Die Möglichkeit eines umfassenden Logikstudiums, das neben der Mathematischen Logik auch theoretische Informatik, philosophische Logik oder formale Linguistik und ihre Anwendungen einbezieht, wird von der Arbeitsgruppe Mathematische Logik durch Informationen zum Studium und durch fachübergreifende Veranstaltungen gefördert.